Von Gabriele Worm, die gerade mitten in ihrem eigenen Glücksprojekt ist
“Als ich vor ein paar Tagen gefragt wurde, ob ich etwas über das Buch „Das Happiness-Projekt“ von Gretchen Rubin schreiben kann, antwortete ich: „Ja, aber das dauert noch, ich stecke gerade mitten in einem großen Glücksprojekt.“ In dieser Nacht sollte nämlich mein drittes Enkelkind zur Welt kommen.
Und ja, nun ist sie da: Frida, auf die wir so lange gewartet haben. Die ganze Großfamilie ist entzückt. Nein, es war keine tolle Schwangerschaft, keine Bilderbuchgeburt, unsere Familie blickt nicht auf Jahrhunderte voller gelungener Biografien zurück, nicht einmal ein paar Vorbilder gibt es. Das kleine Mädchen wurde nicht in die beste aller Welten geboren. Doch fühlt es sich gerade an wie großes Glück. Mitten in widrigen Umständen und über alle Sorgen hinaus ist etwas Anderes, Neues, Wunderbares entstanden.
Auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit in und mit meinem Leben habe ich so einige Ratgeber konsultiert und viel darüber gelesen.
“Leben verändern” heißt: “sich selbst verändern”
Das vorliegende Buch wäre wohl wie viele andere auf dem Haufen dieser unbrauchbaren Weisheitslektüren gelandet, wenn nicht Gretchen Rubin selbst mich fasziniert hätte. Wegen ihr konnte ich mich einlassen auf den amerikanischen Schreibstil, über die vielen Imperative „Tun Sie unbedingt dies! Lassen Sie das!“ hinwegsehen, und stattdessen blickte ich mitten in ihr Herz.
Echt und ehrlich schreibt sie: „Alles begann an einem gewöhnlichen Aprilmorgen, an dem mir plötzlich die erschreckende Erkenntnis kam: Ich war drauf und dran, mein Leben zu vergeuden… Was erwarte ich vom Leben?, fragte ich mich.“ Über „einfach nur glücklich sein“ wanderten ihre Gedanken zur der Frage: „Wie konnte ich es schaffen, dankbar für jeden Tag meines Lebens zu sein?“ Sie überlegt: „Ich war nicht so glücklich, wie ich sein könnte, und mein Leben würde sich nur dann ändern, wenn ich es selbst veränderte.“
Damit hatte sie mich für sich und ihr Projekt gewonnen: Das kann ich auch, dachte ich und fragte mich, was denn eigentlich meine Werte und Ziele im Leben sind. Dass ich irgendwie zähle, dass ich systemrelevant bin (ein Unwort des letzten Jahre, denn ich bin es nicht), dass mein Leben eine Bedeutung hat, dass ich etwas Gutes bewirken kann.
Als Sterbebegleiterin habe ich mich schon oft gefragt, was bleibt, wenn wir aus dieser Welt gehen. Gretchen Rubin scheut sich nicht, auch über das Leben hinaus zu Glück zu suchen. In einem Kapitel geht es um die Ewigkeit, den Himmel. In der Liste der Literaturempfehlungen nennt sie die Autobiografie der Ordensgründerin Thérèse von Lisieux als das Buch, was sie am meisten beeinflusst hat bei ihrem Happiness-Projekt.
Von Gretchen Rubin habe ich hier nicht nur ein berührendes Memoir gelesen, sondern auch die Anleitung zu einer Verhaltensänderung bekommen, pragmatisch und lebensnah. Konkret nimmt sie sich für jeden Monat eines Jahres einen Bereich ihres Alltags vor, in dem sie etwas ändern möchte.
Kein Rezept fürs Glück, sondern eine Haltung
Letztendlich geht es in dem Buch aber nicht nur um ein Rezept für persönliches Glück. Es ist vielmehr der größere Zusammenhang, den sie nie aus den Augen lässt: Was kann ich mit meiner Haltung, mit meinen Werten dazu beitragen, dass diese Welt ein wenig schöner, besser, freundlicher… wird.
Darin sind uns Gretchen und ich einig: Unser wertvolles Leben wollen wir nicht vergeuden, denn es ist nicht etwas Gutes, Eintöniges, Spießiges oder schlimmstenfalls eine Katastrophe, die uns passiert, sondern es gilt eine Antwort auf alles zu finden und eine Haltung, wie ich dazu stehe, was geschieht.
So hart sie klingt, ist es doch eine wichtige Lektion in meinem Leben: Ob das Leid mich bitter macht und ich vor den Schwierigkeiten kapituliere, oder ob es mir gelingt, den Wert des Lebens trotzdem zu erkennen und seinen Sinn und das Glück, ja sogar Frieden zu finden, das sind meine kleinen alltäglichen Entscheidungen.
Es ist ist nicht einfach, auf diese Art glücklich zu werden. Ich habe entdeckt, dass dieser Weg, Sinn macht und Trost schenkt, aus Ohnmacht in neue Freiheit führt und beim Gehen ein zerbrochenes Herz heilen kann.
Zum Glück gibt es manchmal auch richtig viel überraschendes großes Glück, das uns außergewöhnliche Freude schenkt und Träume wahr werden lässt, wie die Geburt eines Kindes in einer dunklen eiskalten Februarnacht.”
Gabriele Worm, 10.2.21