„Ein Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir ‚Universum’ nennen, ein Teil, der in Zeit und Raum begrenzt ist. Er erlebt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle, als etwas, das vom Rest getrennt ist – eine Art optische Wahnvorstellung des Bewusstseins. Diese Wahnvorstellung ist eine Art Gefängnis für uns, das uns auf unsere persönlichen Bedürfnisse und die Zuneigung zu einigen wenigen Menschen beschränkt, die uns am nächsten stehen. Es muss unsere Aufgabe sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien, in dem wir den Kreis unseres Mitgefühls erweitern, damit es alle Lebewesen und die gesamte Natur in ihrer Schöpfung umfasst.“
Das Zitat ist der Aufhänger für unsere Schreibanregungen diese Woche.
Denn das Zitat hat es in sich.
Es fordert uns heraus, unsere anthropologische Grundausstattung zu modernisieren. Dazu zählt nach Meinung von Sozialpsycholog*innen wie Harald Welzer, dass wir uns etwa 100 entfernten Bekannten und zusätzlich etwa fünf Freund*innen und Familienmitgliedern gegenüber empathisch fühlen und verhalten könnten. Für mehr Mitgefühl seien wir nicht gemacht (Welzer bei einem Vortrag).
Das ist mehr als ungünstig, wie Du in Anbetracht unser globalisierten Welt sicher schon festgestellt hast. Mitgefühl für wenige reicht heute weder für die Weltgesundheit, noch die Gesundheit der Natur und erst recht nicht für das Wohlergehen unserer Psyche aus, sagen auch Forscher*innen anderer Disziplinen. So etwa der Neurobiologe Gerald Hüther aus Göttingen. Er ruft etwa zur Überwindung von Konkurrenz und bloßen Produktivitätsdenken auf und empfiehlt uns zur Weltrettung Potenzialentfaltungs-Gemeinschaften. Seine Ideen vom gemeinsamen Tun entsprechen ganz dem Gedanken der „Konvivialität“, des wohlwollenden Miteinanders, das von dem Pionier der integrativen Therapie Hilarion Petzold beschrieben worden ist, womit eine weitere Forschungsrichtung im Boot wäre.
Und wem das noch nicht genug ist, der/die denke einfach an die Achtsamkeits/Mindfulness-Philosophie verschiedenster religliöser, kultureller, spiritueller Gemeinschaften. Auch hier ist die Rede vom Mitgefühl für andere, die Welt, aber auch für uns selbst.
Wem es gelingt, zu meditieren und dabei Gefühle der liebenden Güte für sich selbst, Bekannte, Freunde, Fremde und schließlich für alle lebenden Wesen zu erzeugen, dem ist die eigene Empathie-Potenzial-Entfaltung sicher, heißt es bei Kristin Neff, Psychologin und Anhängerin des Buddhismus (Neff 2012).
Dass sich Mitgefühl erlernen lässt, ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Richard Davidson, ein amerikanischer Psychiater, untersuchte auf Einladung des Dalai Lama die Hirne erfahrener buddhistischer Mönche und traute seinen Augen kaum, als er die Ergebnisse des funktional MRI sah. Bevor er sie veröffentlichte, prüfte er ein Jahr lang seine Scanner wieder und wieder, da er eine derart hohe Aktivierung des linken präfrontalen Cortex noch nie in einer Messung westlicher Wissenschaftler gesehen hatte. Die Geräte waren einwandfrei, wie auch die Ergebnisse: Die Mönche verdankten ihren Meditationen nicht nur eine außergewöhnliche Aktivität im Cortex, sondern auch eine außergewöhnliche Steigerung von Freude und Optimismus, die mit diesem Hirnareal in Verbindung steht.
Das sind doch mal wirklich gute Nachrichten!
Und noch eine wichtige Information für alle Zweifler, die sagen, Empathie und Mitgefühl habe nichts mit den Disziplinen zu tun, die wirklich über das Schicksal der Welt entscheiden. Ihnen darf ich den Autor des Eingangszitat verraten: Es stammt von Albert Einstein.
Eure Birgit