Natalie Knapp: Der unendliche Augenblick

Alexandra Peischer stellt uns folgendes Buch vor und lädt zu einigen Schreibimpulsen ein:

Natalie Knapp: Der unendliche Augenblick.
Warum Zeiten der Unsicherheit so wertvoll sind.

6. Auflage Juni 2020, Rowohlt (Berlin)

Natalie Knapp gibt Hoffnung. Sie zeigt anhand zahlreicher Beispiele und mit herzerfrischender Lebensfreude, dass Übergänge und Krisen zum Leben gehören, ja das Leben ausmachen. Denn in diesen Zeiten spüren wir das Leben mit besonderer Intensität, aktivieren unser schöpferisches Potenzial und machen wertvolle Erfahrungen, die uns Halt und Richtung geben für andere, ruhigere Zeiten.

In drei großen Kapiteln geht Knapp den Übergängen in der Natur, im menschlichen Leben und in der Gesellschaft nach. Von der Natur können wir viel lernen, denn sie lässt besonders an den Übergängen, den Randzonen Neues entstehen. Zudem zeigt sie uns, dass Hoffnung durchaus angebracht und „vernünftig“ ist, denn warum sonst würde ein Baum jedes Jahr im Frühling wieder blühen? Und wie sehr würden uns diese blühenden Schönheiten fehlen!

Im zweiten Abschnitt analysiert Knapp die Übergänge des menschlichen Lebens vom „Wagnis der Geburt“ über die „Pubertät als Kreativlabor“, der Wandlungskraft der Trauer bis hin zur Kunst des „Sterben lernen, um zu leben“. Beim Durchleben dieser natürlichen Übergangsphasen erlangen wir enorme Veränderungs- und Krisenkompetenz, die wir später jederzeit nutzen können! Besonders schön finde ich das Kapitel über die „fünf Urkräfte, die uns tragen“. Knapp definiert hier fünf Fähigkeiten, die Stabilität und Wandlung ermöglichen und eng miteinander verwoben sind: Akzeptanz, Vertrauen, Hoffnung, Liebe und Lebendigkeit, das „Trapez des Lebens.“ (S. 179). Ein längeres Zitat dazu findet sich in den Schreibimpulsen unten.

Zuletzt macht Knapp einen Ausflug in die Menschheitsgeschichte und deren Krisen und Übergänge. Dabei beschäftigt sie sich viel mit der Theorie des Philosophen und Kulturforschers Jean Gebser (1986), der davon ausgeht, dass „der Menschheit im Laufe der Evolution fünf Bewusstseinsmutationen widerfahren sind, die jeweils eine neue Art des gesellschaftlichen Zusammenlebens hervorgebracht haben“ (Knapp, S. 206), von einer archaischen Epoche zu Beginn der Menschheit bis hin zum integralen Bewusstsein, das sich gerade auszubreiten beginnt. Historische Beispiele geben Einblick in diese Epochen mit ihren jeweiligen Veränderungen und Entwicklungsaufgaben. Eine wichtige Rolle spielt auch der Begriff und die Bedeutung von Zeit. Knapp plädiert für ein „erweitertes Zeitbewusstsein“, das zu einer neuen oder anderen Priorisierung von Werten führt: „Wer die Zukunft in die Gegenwart holen kann, der aktiviert auch die Hoffnung, die eine entscheidende Kraft ist, um eine Krise überwinden zu können.“ (S. 273)

Natalie Knapps Sprache ist immer einfach und klar, geprägt von Leichtigkeit, zärtlichem Gespür und einem klugen und offenen Herzen. Mit diesem Buch lädt Knapp ein zu einer bewussten Lebensführung, zum Genießen des gegenwärtigen Augenblicks, zur Achtsamkeit für die „Schönheit einer renditefreien Gegenwart“ als “zugleich zartester und kraftvollster Ausdruck des Lebens“. Es geht nicht (immer) darum, mit dem, was wir tun, einen Nutzen oder Gewinn in der Zukunft zu verfolgen, sondern dessen Gewinn einzig und allein im Erleben im Hier und Jetzt zu erkennen.

Und sie ruft auf zu einem fairen und umsichtigen Umgang mit den Ressourcen dieser Erde, hier sehr wohl mit Blick auf die Zukunft und die nächsten Generationen. Dabei wünscht sie sich ein klares „Wir-Bewusstsein“ (=„Gruppenbewusstsein, das die Mitglieder einer Gemeinschaft so verbindet, dass sie um ihre Verbindung wissen und deren Bedeutung anerkennen“, S. 269), da wir alle miteinander verbunden sind und nur in der Gemeinschaft eine gute Lösung finden werden: „Wir sind ein Teil der Schöpferkraft dieses Planeten, wir sind ein Teil seiner Wandlungsfähigkeit.“ Denn Hoffnung bedeutet, „sich von der Zukunft begeistern zu lassen, die längst da ist, und die Gegenwart dadurch erst richtig genießen zu können.“ (S. 290)

Schreib-Impulse zum Buch:

Die folgenden Zitate aus dem Buch können als Inspiration oder Ausgangspunkt für reflexives Schreiben dienen:

„In Übergangszeiten wächst der Boden, auf den wir unsere Füße setzen können, mit jedem behutsamen Schritt, den wir gehen. Es sind unsere Schritte ins Ungewisse, die ihn wachsen lassen.“ (Knapp 2020, S. 24)

Kennst du das Gefühl, deine Füße auf unbekanntes Terrain zu setzen?

  • Welche Situationen fallen dir dazu ein?
  • Wie fühlten sich diese Schritte an? 
  • Wo stehen vielleicht jetzt gerade Schritte ins Ungewisse an? Welcher Boden möchte wachsen?

„Leben heißt Teilen und Mitteilen von Lebendigkeit nach innen und außen.“ (Knapp 2020, S. 146)

Was löst dieser Satz in dir aus?

  • Geh in Resonanz damit und schreibe frei deine Gedanken nieder. Vielleicht entsteht auch ein Gedicht…


„Das erweiterte Zeitbewusstsein lässt sich nicht managen, man kann sich nur davon anregen und tragen lassen. Nicht indem man beherzt den Augenblick ergreift, sondern indem man zulässt, dass man von ihm ergriffen wird. Nicht wir nutzen die Zeit, die Zeit nutzt uns.
Der Mensch ist eine schöpferische Schnittstelle der Zeit, der Hüter der Geschichte und der Ursprung der Zukunft in der Gegenwart.“ (Knapp 2020, S. 276)

  • Wann warst du das letzte Mal ergriffen von einem Augenblick? Erzähle davon!
  • Wann und wie fühlst du dich als “Ursprung der Zukunft in der Gegenwart”?

„Auch bei gesellschaftlichen Übergängen können wir uns auf die fünf Kräfte der Wandlung verlassen: das Vertrauen in die Kraft der Natur, die radikale Akzeptanz der unliebsamen Veränderungen, die Liebe in Form eines Miteinander, durch das wir gemeinsam wachsen können, die Sehnsucht nach Lebendigkeit, die uns drängt, immer wieder neu anzufangen, und nicht zuletzt die Hoffnung in Form der Fähigkeit, unsere Gegenwart aus der Zukunft zu denken.“ (Knapp 2020, S. 277)

  • Schreibe zu jeder der fünf Urkräfte (Vertrauen, Akzeptanz, Liebe, Lebendigkeit, Hoffnung) je 5 Minuten: Wo und wie erlebst du diese Kraft in deinem Leben? Gibt es eine, die du (besonders) stärken möchtest?
  • Im Anschluss verdichtest du deine Erkenntnisse am besten, indem du zu jedem Begriff, zu jeder dieser Kräfte ein Akrostichon oder ein Elfchen schreibst.
  • Abschließend kannst du die fünf Kräfte zu deinem persönlichen “Trapez des Lebens” verweben: Gestalte dieses Trapez, wie immer du möchtest (malend, schreibend, mit Symbolen oder einer Collage…), zur Erinnerung daran, dass du getragen bist, auch in schwierigen Zeiten.

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