Abschied und Neuanfänge

Wir beginnen mit dem Thema Abschied schon im November, einen Monat bevor das Jahr 2021 sich dem Ende zuneigt. Trotzdem passt es: Bei uns im protestantischen Bremen wird zum Beispiel im November der Totensonntag gefeiert, ein Tag, an dem wir uns erinnern und Menschen ehren, von denen wir uns schon verabschieden mussten. Wir legen Blumen oder Kränze auf Gräber und ich persönlich spreche im Geiste mit meiner Mutter und mit meiner Großmutter, erzähle, was mich gerade so bewegt und bitte sie darum, mir gelegentlich eine Eingebung oder ein bisschen Liebe zu schicken.

Auch meinem Hund Jackie erweise ich die Ehre, sie war meine Seelentrösterin in vielen einsamen Jahren am Schreibtisch, als ich meine Doktorarbeit schrieb und auch später, als ich meine Mutter pflegte in ihrer langen Krankheit.

Der November ist auch der Monat, in dem die sonnigen, warmen Tage endgültig versiegen. Der Himmel ist häufig grau und wolkenverhangen, es regnet, stürmt, schneit oder hagelt. Der Sommer und der goldene Herbst haben sich verabschiedet.

Die Zwischenzeit – eine produktive Etappe

Der lange Winter liegt vor uns – eine Zeit des Übergangs – wie sich zeigt, wenn ich Äste und Zweige genau betrachte.

Alle Blätter sind abgefallen und haben Narben hinterlassen, doch wenn ich genau hinsehe, entdecke ich dort bereits kleine Vorsprünge, Ansätze für neue Zweige.

Die scheinbar unproduktive Zeit des Winters dient der Vorbereitung für einen Neuanfang der Natur im Frühling.

Der Übergang ist eine Inkubationszeit, eine Zeit für Schutz und Rückzug: Ohne Blätter und Sprossen können die Bäume und Sträucher auch Frost und Sturm überleben und – wenn ihre Zeit kommt – wieder ausschlagen und Blüten und Blätter präsentieren.

Im Gegensatz zu den Pflanzen wissen wir Menschen leider nicht immer, was nach einem Abschied folgt. Weder dann, wenn wir jemanden verlieren, noch wenn wir selbst einen neuen Schritt tun, einen Job kündigen oder eine schädliche Gewohnheit wie das Rauchen ablegen.

Was, fragen wir uns, wird jetzt auf uns zukommen? Werde ich glücklich sein? Überfordert? Habe ich alles, was ich für die neue Zeit brauche?

Auch die Zeit der Pandemie war eine lange Zeit des Übergangs, in der unklar war, wie es nach den Beschränkungen in unseren Leben und in der Welt weitergeht. Wir sind dabei, es zu erkunden.

Ebenso bildet die Klimakrise einen Übergang. Sie könnte den Abschied von der Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit einleiten und danach einen Neuanfang der Sorge und Pflege der Umwelt. Doch zu Recht fragen sich viele Menschen, in dieser Übergangszeit, ob der Neuanfang glücken kann.

Fakt ist: Die Zeit des Übergangs ist selten eine Zeit der Muße. Vorfreude und Sorgen können sich abwechseln.

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne (Hermann Hesse)

Haben wir uns festgelegt, wohin unsere nächsten Schritte führen, haben unsere Energien wieder ein Ziel und wir lassen viele Unsicherheiten der Übergangszeit hinter uns. Doch auch dieser Neuanfang braucht die ganze Frau: Begeistert beginnen wir eine neue Freundschaft oder Liebe, begrüßen ein Haustier, stürzen uns in einen Job. Nicht selten tauchen dabei unvermutet ängstliche Gedanken auf. Selbst der Traumjob bedeutet ja, dass wir uns an unbekannte Kolleg:innen gewöhnen müssen, uns mühsam in neue Abläufe einfädeln müssen und wir vielleicht spüren, dass die neuen Aufgaben uns an neue Grenzen führen.

Abschied – Übergang – Neuanfang

  • Wie gestalten wir die Etappen möglichst angenehm und freudvoll – bei allen notwendigen Anstrengungen, die damit verbunden sind?
  • Wie wissen wir, wann Abschied angesagt ist?
  • Welche Kultur des Verabschiedens pflegen wir?
  • Nehmen wir uns Zeit für unsere Gefühle oder übergehen wir, was uns bewegt?
  • Oder schleichen wir uns lieber davon, in der Hoffnung, dem unvermeidlichen Abschiedsschmerz zu entkommen?
  • Und was genau ist es, das wir verabschieden, zurücklassen wollen oder sollten?
  • Und wie gut können wir die wechselnden Gefühle des Übergangs aushalten?
  • Können wir abwarten, bis die Zeit wirklich reif ist für einen Neuanfang? Oder geraten wir in Aktionismus, handeln zu schnell und unüberlegt?
  • Wer unterstützt uns in dieser schwierigen Zeit?
  • Wie ist es beim Neuanfang?
  • Was brauchen wir, um ihn zu wagen?
  • Wie wissen wir, dass es Zeit dafür ist?
  • Wie gut sind wir ausgestattet?
  • Wer geht mit uns – oder gehen wir allein?
  • Wie war das früher? Haben wir uns gefreut auf Neues?
  • Oder gehören wir zu den Menschen, die Sicherheit lieben und gern beim Alten bleiben?
  • Welche Rolle spielen Traditionen beim Neuanfang: Was wollen wir beibehalten?
  • Und wie wollen wir die drei Etappen ab heute gestalten?
  • Zu diesen und anderen Fragen formuliere ich in diesem Monat Schreibanregungen. Ihr habt die Gelegenheit, Euch ein Stück mehr auf die Spur zu kommen.
  • Einladung: Vielleicht wollt ihr diesen Monat tatsächlich eine Phase verabschieden, einen Übergang wagen, einen Neuanfang starten?
  • Begleitet von Zoomtreffen und Schreibanregungen könnte diese Zeit sehr bereichern und inspirierend werden…

Zur Einstimmung hänge ich den Klassiker an:

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse (4. Mai 1941)

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